Wenn Wasser knapp ist
Vor etwas mehr als einem Jahr, im April 2019, habe ich SAT – Sustainable Agriculture Tanzania (kilimo.org) – besucht, durfte dabei die Organisation und die landwirtschaftliche Praxis kennenlernen sowie die Initiator*innen und Mitarbeitenden bei einem Organisationsentwicklungsprozess unterstützen.
SAT ist eine Organisation, die die bäuerlichen Strukturen stärkt, durch die Weiterentwicklung traditioneller Techniken der Landbewirtschaftung und eigens entwickelteSelbstversorgungswirtschaft.
SAT betreibt in der Nähe von Morogoro eine Modellfarm, die als Forschungs- und Ausbildungszentrum dient. Zusätzlich ist ein gutes Duzend Berater*innen täglich in den Dörfern unterwegs, um dort die Entwicklung zu begleiten.
Die Stärkung der sozialen Strukturen erfolgt zum Einen durch den Aufbau eines Vertriebskanals für Überschüsse aus der Subsistenz-Bewirtschaftung. Dazu betreibt SAT einen Bioladen in Morogoro und beliefert die regionale Gastronomie. Zudem werden in den Dörfern die Produzent*innengruppen moderiert und bei Bedarf lokale Spar- und Darlehensgruppen aufgebaut.
Die landwirtschaftliche Praxis
Ich bin kein Landwirt und war vielleicht gerade deswegen sehr beeindruckt von der Art, wie Landbau und Viehhaltung unter diesen klimatischen Bedingungen betrieben und weitergedacht wird.
Die Farm von SAT ist vor allem ein Forschungs- und Trainings-Zentrum. Über ein Trainer*innen-System hat SAT in den letzten Jahren 5.000 Bäuer*innen im Umkreis von 80km erreicht. In das Trainings-Zentrum kommen immer mehr auch Trainer*innen aus anderen Teilen Ostafrikas. Die Forschung ist so angelegt, Methoden zu entwickeln, die besonders auch in der kleinbäuerlichen Praxis umsetzbar sind.
Trockengebiet
Die Farm von SAT liegt im Trockengebiet Tansanias, ca. 10 km westlich von Morogoro. Es gibt dort zwei Regenperioden im Jahr. Eine „kleine“ im November/Dezember und eine „große“ von Februar bis April. Von Mai bis November fällt kein Regen, im Mai verlieren die Bäume ihre Blätter und die jetzt so grüne Landschaft ist 7 Monate im Jahr eine Steppe. In diesem Jahr blieb die „große“ Regenzeit fast aus: in Summe fielen auf der Farm 125 mm Regen pro qm. Dennoch ist die Luftfeuchtigkeit in der Zeit hoch, die Temperaturen liegen tagsüber bei 35°C.
Erstaunlich: 50 km entfernt beginnen andere Klimazonen. Tropenwald im Osten und Nebelwald im Süden. Das bedeutet jeweils komplett andere Anforderungen für die Bäuer*innen. Die Farm wurde ganz bewusst im Trockengebiet gegründet, um hier Erfahrungen zu sammeln.
Vom schnellen Wachsen
Auch wenn die Regenzeit mager ausfällt, alles wächst und vermehrt sich in dieser Zeit so schnell es kann: das, was man gepflanzt hat, genauso wie das, was man nicht gepflanzt hat, die Nützlinge, die Schädlinge und die Krankheitserreger. Ein Kompost, inkl. Baumschnitt, ist in zwei Monaten fertig. Bei Schädlingsbefall wird teilweise täglich gespritzt, dabei kommen nur selbstgemachte biologische Mittel zum Einsatz, meist aus Neem und Moringa, manches mal noch angereichert mit Kuh-Urin.
Wasser sammeln
Mit Wasser wird nach Permakultur-Prinzipien umgegangen: Sparen, Bremsen, Sammeln.
Der tropische Regen (wir nennen das heute „Starkregen“) kann meist nicht vom Boden aufgenommen werden, daher gibt es über die ganze Farm hinweg ein oberflächliches Drainagen-System, um das Wasser zu kanalisieren, zu bremsen und zu speichern. Die Wasserläufe werden immer wieder gepflegt und optimiert, um die Fließgeschwindigkeit zu reduzieren und möglichst alles nicht versickernde Wasser aufzufangen. Für die Speicherung gibt es einen künstlichen See.
Bewässern
Die Bewässerung erfolg so punktgenau wie möglich. Für die Anwendung mit Tröpfchen-Bewässerungssystemen werden bekannte Techniken eingesetzt – die sind aber in der kleinbäuerlichen Praxis meist unerschwinglich bzw. es fehlt am fließenden Wasser.
Alternativen gibt es einige, zum Beispiel: Kreisbeete. Es werden drei Beete kreisförmig mit einem Durchmesser von 1,0 m und 60 cm Tiefe ausgehoben. In die Mitte kommt jeweils ein leerer, mit kleinen Löchern versehener Wasserkanister (dort übliche Größe: 12l). Die Beete werden mit frischem Pflanzenmaterial und einer Mischung von Aushub und Kompost aufgefüllt, so dass nur die obere Öffnung des Kanisters zu sehen ist. Die oberste Schicht sollte immer wieder neu gemulcht werden. Über die Kanisteröffnung kann das Beet mit nur wenig Verdunstungsverlust / Versalzungsgefahr bewässert werden.
Beschattung
Viele Beete sind beschattet. Idealerweise wird viel gemulcht (wegen Schlangen aber eher unbeliebt). Eine Dauer-Begrünung ist auf Grund der Wasser-Konkurrenz nicht üblich. Sensibles wird auch in sog. Screenhouses angebaut (Gewächshäuser, mit Moskitonetzen statt Folie od. Glas, tw. etwas abgedunkelt). Einige Bäuer*innen-Gruppen in den Dörfern haben ein gemeinsames Screenhouse für die Jungpflanzen-Zucht.
Mischkulturen
Eigentlich wurden die Mischkulturen entwickelt, um mit dem Krankheits- und Schädlingsdruck besser umzugehen. In einem Beet werden schon mal 9 verschiedene Gemüsekulturen angebaut. Inzwischen stellt sich ein Zweitnutzen heraus, der die Weiterentwicklung dieses Systems befördert: die Verminderung von Arbeitsspitzen für die Bäuer*innen (und damit Reduktion des Einsatzes von Saison-Arbeitern, den sie sich eigentlich nicht leisten können).
Agroforst-Ansätze
Wenn die Bäume ziemlich schnell nach dem Ende der Regenzeit die Blätter fallen lassen, ist eine Symbiose zur Beschattung nicht so zielführend. Und dennoch experimentiert SAT mit Agroforst-Ansätzen. Denn bestimmte Baumarten fördern Wasser und Nährstoffe aus tieferen Schichten nach oben. In einem Versuch werden mehrere Reihen Mais zwischen frisch gekürzten Baumreihen gesät. Der Baumschnitt wird für den Zwischenraum als düngender und beschattender Mulch direkt nach der Saat genutzt und durch das schnelle Wachstum der Büsche spenden sie in einer späteren Wachstumsphase des Mais Schatten.
Besuche bei Bäuer*innen
Ein*e Bäuer*in im Umland von Morogoro bewirtschaftet im Schnitt etwas mehr als 1 ha Land und kann damit die Familie versorgen und auch etwas Geld verdienen. SAT bemüht sich derzeit, regionale Absatzmärkte für Bio-Produkte aufzubauen, um höhere Einkommen zu ermöglichen.
Der Einsatz externer Ressourcen ist bei den Bäuer*innen sehr reduziert, manche kommen komplett ohne zugekaufte Ressourcen aus, manche kaufen Saatgut und punktuell Arbeitskräfte ein. Maschinen haben sie keine. Die Dorfgruppen organisieren viel gemeinsam: Jungpflanzen-Aufzucht, Einstieg in die Geflügelhaltung, Smartphone, Logistik etc.
Beeindruckend: die meisten Bäuer*innen, die ich besuchen konnte, leben ohne Strom und ohne fließend Wasser. Ihnen geht es nach eigenem Bekunden wirtschaftlich gut und sie wollen sich unternehmerisch weiterentwickeln und ihr Einkommen nutzen, um den Kindern Bildung zu ermöglichen. Denn: „Biolandbau geht einfacher mit guter Bildung“.
Eine Erkenntnis zur Auswirkung unseres Bio-Standard
In den Staaten Ostafrikas hat sich ein eigener Bio-Standard herausgebildet, der über ein Peer-Verfahren verifiziert wird: eine Gruppe von Bäuer*innen auditiert sich gegenseitig. Wenn bei externen Stichproben-Kontrollen bei einem Gruppenmitglied ein Verstoß festgestellt wird, verlieren alle in der Gruppe ihre Bio-Anerkennung. Damit hat sich ein funktionierendes Kontrollsystem ohne große Kosten für die Erzeuger*innen etabliert, was kompatibel ist mit den wichtigen Selbstversorgungs-Strukturen. Denn dieses Kontrollverfahren kann ein*e Bäuer*in auch dann leisten, wenn die Vermarktung der überschüssigen Ware nur wenig Einnahmen bringt.
U.a. aufgrund des beschriebenen Audit-Verfahrens ist dieser Bio-Standard nicht kompatibel zu den westlichen Bio-Standards. Damit gibt es für die traditionell wirtschaftenden Bäuer*innen in Ostafrika keinen wirtschaftlich tragfähigen Zugang zum Bio-Markt der westlichen Welt. Denn der klappt aufgrund der hohen Zertifizierungsaufwendungen nur, wenn eine Spezialisierung auf eine oder wenig Kulturen stattfindet und der Selbstversorgungsgrad zurückgefahren wird.
Somit bewirken die vermeintlich gut gemeinten Kontrollsysteme für bio und fair-trade letztlich massive Einschnitte in die Sozial- und Wirtschaftssttrukturen in Ostafrika. Es Ist also auch da noch ein langer Weg für uns Europäer*innen zu einem gelebten Postkolonialismus.
Zur Arbeit mit SAT
Es war eine großartige Möglichkeit mit den Mitarbeitenden und Initiator*innen von SAT an ihrer Organisationsentwicklung zu arbeiten. Ich war mir vorher unsicher, was eine Grundhaltung des Ermöglichens im Dialog über Kulturgrenzen hinweg bewirken kann. Umso überraschender war es für mich, dass die Arbeit viel Freude gemacht hat. Wir haben in lebendigen und emotionalen Prozessen neue Ansätze entwickelt, die offensichtlich auch gute Spuren für Neues gelegt haben. Danke, Janet und Alex und das ganze Team von SAT für die lehrreiche Zeit mit und bei Euch.